„Eben und flach ist das Land und doch von einer ungeahnten Vielfalt. Gerade das abwechslungsreiche Landschaftspanorama mit der Geest im Westen, dem Moor im Süden, der Flussmarsch im Norden und vielen Sehenswürdigkeiten macht Ostrhauderfehn so reizvoll und einladend.“ Das verspricht die Website der Gemeinde in Ostfriesland. Hier besitzt eine junge Familie ein Grundstück am Rande des Naturschutzgebiets. Ein Zeitungsartikel machte sie auf den Berliner Architekten Thomas Kröger aufmerksam.
Nach der Entwurfspräsentation gab es eine kurze Krise: Den unkonventionellen Raumplan mit den in Szene gesetzten Konstruktionselementen musste die Bauherrschaft erst einmal verdauen. Doch schließlich gelang die Zusammenarbeit hervorragend. Nicht nur, dass sehr viel in Eigenleistung erbracht wurde. Die Bauherren haben auch aktiv die Abstimmungen zwischen den Gewerken und Planern betreut und waren konstruktiv ins Baugeschehen involviert.
Das Gebäude besteht aus einem Wohnhaus, einem Eingangshof sowie einer Garage. Seine Gestalt ist an die regionale Bauweise der sogenannten Gulfhäuser angelehnt, eine friesische Bauernhausform, die im 17. Jahrhundert aufkam. Die traditionell eher kleinen Wohnstallhäuser entstanden als Holzgerüstbauten in Ständerbauweise. Der Gulf, die Einheit zwischen vier Holzpfeilern, bildete das Zentrum des Scheunentraktes und bot Fläche für das Erntegut.
Für das zeitgenössische Gulfhaus in Ostrhauderfehn übernahm Thomas Kröger das tief hinuntergezogene Dach. Das ehemals hölzerne Konstruktionsprinzip übersetzte er jedoch in Stahlbeton. Rau geschalt und bewusst überdimensioniert wirkt es nicht nur raumbildend, sondern vor allem skulptural. Bis in den First fällt der Blick im offenen Wohnraum. Zwei Schlafzimmer liegen im ersten Obergeschoß. Schmale, aneinandergereihte Fenster direkt unter dem First fokussieren die Aussicht nach Norden. Nach Ost und West gehen die liegenden Giebelöffnungen im Dachgeschoß, hier finden die Eltern Ruhe. Die Giebelfassaden mit ihren großen, runden Toren wurden mit Ziegeln in Fischgrätverband vermauert. Die aus der benachbarten Wittmunder Ziegelei stammenden, im Tunnelofen gebrannten Wittmunder Klinker entsprechen farblich den Dachpfannen, sodass der Hof nach außen wie ein roter Monolith wirkt.
Die Jury urteilte: „Welch ein erfrischendes kleines Haus, das einerseits so daherkommt, als wäre es schon immer in dem ostfriesischen Dorf Ostrhauderfehn gestanden, mit seiner spezifischen Gestalt, den roten, kunstvoll gemauerten Backsteinen und den ebenso roten, lokal gebrannten Dachziegeln, die dem Haus seine monolithische Massivität geben. Andererseits springen einem die kreisrunden Öffnungen in den Außenwänden ins Auge. Sie erinnern an Moon Gates in einem traditionellen chinesischen Garten. Im Inneren öffnet sich ein beeindruckender Einraum mit einem mächtigen tragenden Gebälk, angeblich der örtlichen Formtradition Gulfhaus entlehnt, nur massiver in Beton ausgeführt. East meets West, Tradition meets Moderne. Und das alles in Leer, Ostfriesland. Unglaublich. Der Großstadtarchitekt Thomas Kröger fackelt wieder ein fantasievolles Feuerwerk in der Provinz ab (mit Handwerkern aus Berlin und der Uckermark) und lenkt so den Blick hinaus in unbekannte Weiten, so exotisch wie naheliegend. Das nächste Abenteuer scheint unser eigenes vergessenes Hinterland zu sein.“