368 Architektur Wettbewerbe realisiert
© Kollektiv Fischka
© Kollektiv Fischka

Das Museum und die Stadt

Das Wien Museum NEU von Čertov / Winkler+Ruck Architektur zeigt Respekt vor dem Altbau und ist zugleich eine radikale Erneuerung.

von: Roland Kanfer

Mit „ausgestreckter Hand“, wie es Architekt Roland Winkler ausdrückt, begrüßt das Wien Museum neuerdings seine Besucherinnen und Besucher. Im Zuge der um­fangreichen Erweiterung des von Oswald Haerdtl geplanten, 1959 eröffneten Museumsbaus am Karlsplatz wurde dem Gebäude ein Pavillon vorgesetzt, der den neuen Eingangsbereich zum Resselpark hin sichtbar markiert. Ein Gestaltungselement, das die Jury im 2015 durchgeführten Architekturwettbewerb ursprünglich nicht so überzeugt hatte. Auf deren Anraten hin ließen die Architekten Roland Winkler, Klaudia Ruck und Ferdinand Čertov die Funktion als Infobereich und Kartenverkauf sowie die versenkbare Fassade schlussendlich fallen.

Gewonnen hatte der Entwurf der beiden Architekturbüros aus Graz und Klagenfurt schlussendlich dennoch mit dem Vorschlag, ein schwebendes Geschoß auf den denkmalgeschützten Bau zu setzen, quasi einen Deckel auf die Truhe. Als große komposi­torische Geste hatte die Jury die Idee bezeichnet, Bestand und Erweiterung durch ein zurückversetztes, transparentes Zwischengeschoß wie eine Fuge optisch von­einander zu trennen und der Gesamtkomposition damit Leichtigkeit zu verleihen.

Die unterschiedlichsten Entwürfe waren damals eingereicht und auch prämiert worden. Die meisten lagerten die Erweiterung des Museumsbaus als Solitäre auf die Fläche vor dem Eingang aus, die den Haerdtl-Bau in den Schatten stellen sollten. Den zweiten Platz belegte ein wuchtiger Quader mit überdimensionalem Bullauge, der dritte Preis schlug eine Pyramide mit unterirdischem Zugang zum Museum vor – der Louvre lässt grüßen. Ein Baukörper in Kristallform sowie ein über­dimensionaler, Haerdtls Architektur erschlagender Hochhausaufbau waren unter den Anerkennungen zu finden.

Respekt und Kommunikation

Mit der nun abgeschlossenen Erweiterung konnte das Wien Museum seine Ausstellungsflächen auf 12.000 Quadratmeter beinahe verdoppeln, auch unterirdisch kamen 1200 Quadratmeter Depotflächen hinzu, die sich unter dem Vorplatz erstrecken. Zwei Ansätze hatten die Architekten mit ihrem Konzept verfolgt: Neben dem Eingangspavillon als „Markstein“ zum Karls­platz sollte der Innenhof, die zentrale Halle, eine nach oben wachsende Aula sein, durch die sich der Besucher in einer Spirale nach oben bewegt. In dieser Halle hängt das Stiegenhaus, das den Altbau mit der Erweiterung verbindet, frei auskragend und in sägerauer Sichtbetonqualität.

Konstruktiv ist das neue Geschoß eine eigene, frei tragende Konstruktion, auf­gehängt an vier frei im Raum hängenden Stahlbändern, die an einer in der Innenhofhalle stehenden, in den Boden geleiteten Stahlbetonkonstruktion gelagert werden. Dieses eigenständige, 40 Meter lange Tragwerk berührt nicht den Bestand und das Erweiterungsgeschoß ist stützenfrei. Die vier Stahlfachwerke dieses als Bogen ausgeführten Brückentragwerks sind derart stark gespannt, dass sie 34 Zentimeter über Niveau eingebaut wurden und sich erst nach der Bodenverlegung auf das geplante Niveau senkten.

Respekt und Kommunikation zwischen Alt und Neu

Während die Fassade des Altbestands mit Dolit White Shell, einem dem von ­Haerdtl ursprünglich verwendeten Kalkstein ähnlichen Naturstein, verkleidet wurde, besteht das Obergeschoß aus in einer sägerauen Schalung gegossenem, grau eingefärbtem Beton. Die Gratstruktur in der Fassadenoberfläche wird durch dreieckige Rillen geformt, die händisch nachbearbeitet wurden.

Das Zwischengeschoß, die horizontale Fuge, die zwischen dem Schwebegeschoß und dem Bestand frei bleibt, repräsentiert in den Worten der Architekten „den Respekt und die Kommunikation zwischen Alt und Neu. Dementsprechend findet hier Öffentlichkeit statt – als Raumpause zwischen den Ausstellungen, als Event, als Vermittlung, als Gastronomie oder einfach als Blick über die Baumkronen des Resselparks auf Wien.“

Projekt
Wien Museum am Karlsplatz, Sanierung und Ausbau

Bauherr
Wien Museum, Karlsplatz 8, 1040 Wien

Planung
Čertov / Winkler+Ruck Architektur, Graz / Klagenfurt
čertov.com
winkler-ruck.com

Tragwerksplanung
Bollinger und Grohmann Ingenieure, Frankfurt

Generalunternehmer
ARGE Wien Museum
Porr
Elin
Ortner

Projektleitung
Bau-Control Projektleitung+Projektsteuerung, Wien

Fotos
Kollektiv Fischka

Projektdaten
Halle: 330 m²
Schwebegeschoß: 1200 m²
Fugengeschoß:
300 m² Vermittlung/Ateliers
280 m² Veranstaltungszentrum
300 m² multifunktionaler Wien-Raum
Plaza: 780 m²
Pavillon: 215 m2
Depot: 1200 m2

Projektablauf
Wettbewerb 11/2015
Planungsbeginn 2016
Baubeginn Sommer 2020
Fertigstellung 03/2023 (Geplante Eröffnung 12/2023)

Produkte
Stahlbau: URBAS Stahlbau, Völkermarkt
Türprofile: Ganzglastüren EI 30 mit Edelstahl, zweiflügelige Tür EI2 30 C sm (Hoba)
Außenwände: Planziegel Plan-T18-24 cm, Hintermauerung Porotonstein mit Mineralwolle
Innenwände: Poroton Planziegel Plan-T18-17,5 cm und Poroton Hochlochziegel ZWP- Plan-T 11,5 cm
Hauseinfahrt: Penter Pflasterklinker Ares schwarz
Bodenbeläge: Holzboden Admonter Eiche Frosti pur – Fliese Cotto d‘Este Serie Secret Stone 60/60
Beleuchtungskörper: Molto Luce, Wever Ducre
Sanitärgegenstände: Laufen, Keuco
Küche: B9 Franzen & Lohaus G

Wettbewerbsdokumentation ARCHITEKTURJOURNAL / WETTBEWERBE 1/2016 (324)