365 Thema

Elementares und Ornamentales

© Filip Dujardin
Buda Art Centre in Kortrijk, Belgien
© Filip Dujardin

Der Ziegel als zugleich homogones und individuelles Naturprodukt in der zeit­ge­nössischen Architektur

„Wir sind der Überzeugung, dass es eine Gegenposition zur grenzüberschreitenden Euphorie der Stahl- und Glasarchitektur des 20. Jahrhunderts geben muss, dass nach wie vor gerade der spürbare Unterschied zwischen Innen- und Außenraum die Architektur bereichert, dass der Innenraum sich spannungsreich vom Äußeren unterscheidet und uns durch seine körperhafte Umhüllung und haptischen Qualitäten etwas von einer Welt erzählen kann, die es außen (nicht mehr) gibt. Häufig fehlt den Gebäuden der zeitgenössischen Architektur diese Überraschung, die wir an alten Häusern so zu schätzen wissen.“ Das schreibt der deutsche Hochschulprofessor und ­Architekt Arno Lederer (vom Stuttgarter Architekturbüro LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei) in einem Aufsatz über das Bauen mit Ziegeln. Lederer geht es nicht um Sentimen­talität, sondern um eine nicht messbare Qualität von guter Architektur.

Wenn wir heute von Ziegelbau sprechen, so sprechen wir von einer breiten Palette an industriell gefertigten Spezialprodukten und nicht von der kleinsten Einheit, dem Normalformat-Ziegel. Spricht man jedoch von Ziegeln im Zusammenhang mit Architektur, mit Baukunst, so steht der kleinformatige Mauerziegel im Vordergrund, ein Naturprodukt, zugleich homogen und individuell. Diese Eigenschaft ist es, die Architekten fasziniert und weshalb der Ziegel nach wie vor einen hohen gestalterischen Stellenwert besitzt – egal ob als Massivmauerwerk, als Vorsatzschale, ob im Innen- oder im Außenraum, für Neubauten oder Zu- und Umbauten, auf jeden Fall mit sichtbarer, behandelter oder unbehandelter Oberfläche.

Drei Beispiele
Drei Beispiele mögen das veranschaulichen: Zuerst das Haus Baladin in Antwerpen vom belgischen Architekturbüro De Vylder Vinck Taillieu. Das Wohnhaus scheint auf den ersten Blick ein renovierter Altbau zu sein, erst bei näherer Betrachtung weisen die unterschiedlichen Fenstermaße und Ziegelverbände, die „verkehrt“ versetzten Fensterrahmen, die „zugemauerten“ Öffnungen darauf hin, dass es sich um ein neues Haus handelt.
Hier wird mit Sehgewohnheiten gespielt, die im konkreten Fall darauf hinweisen, dass hier einmal zwei ältere Häuser standen. Die Ziegelfassade (die sich im schmalen Durchgang in den Hof fortsetzt) dient dazu, diese Verknüpfung herzustellen, jedes historisierende Klischee wird jedoch vermieden und stattdessen mit leiser Ironie ein Überraschungseffekt hervor­gerufen.


Das Buda Art Centre in Kortrijk, Belgien, von 51N4E Architects ist eine alte Fabrik, bei der Interventionen mit moderner Architektur vorgenommen wurden. Dieses Projekt verwendet den Ziegel als weit entwickeltes, industrielles, modulares, perfektes Baumaterial. Das Ergebnis ist einzigartig, denn man bekommt einen Ziegel, der einen Stoff mit der annähernden Beschaffenheit von Seide evoziert und bei dem vor allem die Farbschattierungen ins Auge stechen. Das bildet sowohl in räumlicher als auch in materieller Hinsicht eine harmonische Kombination von Alt und Neu.
Als letztes Beispiel für zeitgenössische Ziegelarchitektur in Europa sei die Galerie für zeitgenössische Kunst im deutschen Marktoberdorf, geplant vom schweizerischen Architektenduo Bearth & Deplazes, genannt. Die Wände der beiden würfelförmigen Baukörper bestehen aus roten, im Blockverband gemauerten Ziegeln. Hier wird dezidiert vermieden, einen White Cube oder eine Black Box zur Ver­fügung zu stellen. Stattdessen soll das innen und außen unverputzte Mauerwerk sowohl Kuratoren als auch Künstler, die vor Ort tätig sind, zu spezifischen Produktionen bzw. Interventionen und Ausstellungen inspirieren. Der präzise verlegte klassische Blockverband mit weißer Fuge entfaltet durch die großflächige Anwendung auf zum Teil fensterlosen Fassaden eine zugleich elementare sowie ornamen­tale Kraft. 

Quelle: Ziegel im Hochbau – Theorie und Praxis. Hans Gangoly, Peter Holzer und Peter Maydl, Hrsg. Anton Pech

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