Um 55 Prozent sollen die Treibhausgasemissionen bis 2030 in der Europäischen Union gesenkt werden. Im Rahmen des European Green Deal wurde dafür auch ein Investmentplan fixiert. Der sieht vor, Kapital in der Höhe von 1000 Milliarden Euro für den Zeitraum von zehn Jahren hierfür zu mobilisieren. Die im Oktober beschlossenen Maßnahmen der österreichischen Bundesregierung in Bezug auf Gebäude und Energie fallen eindeutig in diese Kategorie.
Eine Milliarde Euro wurde an Förderung beim „Erneuerbaren Wärme Paket“ alleine für Kesseltäusche bis 2026 zugesichert, beziehungsweise für die Mittelbereitstellung für 75 Prozent der Kosten bei Heizungserneuerungen oder -einbauten ohne Gas und Öl. Der Sanierungsbonus für Einzelmaßnahmen wurde bei der Gelegenheit ebenfalls aufgestockt. Die Unterstützung der Energiepreise für alternative Energie wurde erhöht und die umsatzsteuerfreie Errichtung von Photovoltaikanlagen ist beschlossen worden. Immerhin 42 Millionen Euro extra kann sich die Bauwirtschaft sichern, wenn sie Innovationen entwickelt und sich so der „Produktion der Zukunft“ stellt. Nicht die Ankurbelung von großvolumigem Wohnbau ist Priorität, sondern die Sanierung und Klimaertüchtigung.
Kapital fürs Umrüsten
Für die technischen Ausrüster der Gebäude sollte der Schwerpunkt mit insgesamt drei Milliarden Euro Deckung kein Nachteil sein. Diesem stehen die vermutlichen Kosten für Umstellungsmaßnahmen gegenüber. 50 Milliarden an erforderlichem Finanzvolumen wurde von der Stadtverwaltung errechnet, um den Bestand in Wien fossilfrei zu bekommen, inklusive begleitender Sanierungsmaßnahmen.
Thomas Kreitmayer, der in der Baudirektion Wien die fachspezifischen Agenden leitet, spricht von 1,5 Millionen fossil beheizten Systemen beim Wohnen in Österreich: „Um das Ziel bis 2040 zu erreichen, müsste man Tag für Tag 100 Haushalte umstellen.“ 600.000 Einheiten sind es in Wien, die man angehen will und die allermeisten Heizsysteme in den Wohnungen sind dezentrale, also solche mit Kessel in den Wohnungen. Kern der Strategie der Stadt ist der Ausbau der Fernwärme, die in Zukunft mit Erdwärme in geschlossenen Kreisläufen gekoppelt sein soll. 70.000 Wohneinheiten könne man sofort neu bedienen, weil die Leitungen bereits vor der Tür sind.
„Erstmals gibt es einen strategischen Ausbau der Fernwärme, der sich nicht an dem Bedarf orientiert“, sagt Rusbeh Rezania, der bei Wien Energie die Dekarbonisierung leitet, und spricht von drei Ausbauphasen bis 2040. Die Energielieferung soll in Zukunft mit Tiefengeothermie, Photovoltaik-Kraftwerken, Abwasserwärme oder Thermalwassernutzung den neuen Ansprüchen gerecht werden. Dafür würde man bei Wien Energie mithilfe der Kommunalkredit 500 Millionen Euro Kapital investieren. Mit Effizienzsteigerungen und Digitalisierung als Begleitmaßnahmen solle es sich ausgehen, den Gesamtbedarf von bis zu 7,55 Gigawattstunden an Energie ohne fossile Energieträger zu decken.
Zinshausertüchtigung: Innovation trifft Bürokratie
Die Umwelttechnikfirma Terra ertüchtigt Zinshäuser mit Erdwärme und Solarkraft. Fünfzig Gründerzeithäuser hat man bisher energetisch mit Erdwärme ertüchtigt und 90 Prozent seien problemlos verlaufen. Die massenhaft anstehende Sanierung von Gründerzeithäusern würde aber angepasste Verfahren brauchen. Das meint Terra-Geschäftsführer Robert Philipp und er berichtet von bürokratischen Hürden: „Fürs Zufahren mit den schweren Geräten braucht es immer extra Genehmigungen.“
Bei der Gehsteignutzung beklagt Philipp das „teure Pflaster“ in Wien: „Bei der Geothermie verrechnet man den hundertfachen Quadratmeterpreis wie für Gas.“ Der größte Hemmschuh dürfte allerdings im juristischen Bereich liegen. Weil die solare Energie, welche am Haus gewonnen wird, einem Mieter nicht verordenbar sei, müssten andere Lösungen her. „Zur Sicherstellung der Finanzierung braucht es rechtskonforme Contracting-Verträge“, sagt Philipp und verweist auf OGH-Urteile, die festschreiben, dass niemand im Haus mit dem eigenen Energieanbieter zwangsbeglückt werden dürfe – klimafreundlich hin oder her.
Komplexe Materie
Ein Referenzprojekt auf Baublockebene ist die Smart City Baumgarten. Neubauaktivitäten waren zum Anlass genommen worden, um den gesamten Baublock mit Altbauten verschiedenster Epochen energetisch neu aufzustellen. Eine Erneuerbare-Energie-Gemeinschaft (EEG) wurde gegründet, die als Verein organisiert ist. Über Servitute, Superädifikate und Bezugsverträge musste ein komplexer rechtlicher Rahmen aufgebaut werden. Weil der Block von Wien Energie mit verschiedenen Liefersträngen versorgt war, berichtet man beim Projektleiter Lang Consulting von Erschwernissen.
Eine Einstufung als regionale Energiegemeinschaft wäre die Konsequenz gewesen. Unterschiedliche Netzkapazitäten bei den Liefersträngen seien zu berücksichtigen gewesen und die heterogene Bewohnerschaft mit gemischten Miet- wie Eigentumsverhältnissen hätte die Sache zusätzlich verkompliziert. Letztlich nutzte man den Neubauteil, wo man ein Erdsondenfeld unterbrachte, um eine „Bürgerenergiegemeinschaft“ mittels Anergienetz zu versorgen. Das Interesse bei Lang Consulting wäre auch in eigener Sache gewesen.
Das Bürohaus, in dem die Firma untergebracht ist, liegt auch hier und wurde im Laufe des Projekts vom Energiefresser zum Plusenergiehaus. Günter Lang freut sich über 90 Prozent weniger Energieeigenbedarf nach Sanierung: „Wir haben Vakuumdämmung eingesetzt und man sieht, die teuerste Sanierungsvariante zahlt sich trotzdem aus.“ Die Abstimmungen auf Hausebene werden dann wieder als herausfordernd geschildert, wobei Grundsatzentscheidung, Planungsziel und Beauftragung zeitlich nacheinander gesetzt wurden.
Beim Plusenergiequartier Breitenlee, einem Neubaukomplex mit 325 Wohnungen, stand die dezentrale Energiegewinnung im Vordergrund. Hier wurde das Flachdach gezielt so geplant, um möglichst viel Photovoltaikfläche und auch Windkleinkraftanlagen unterzubringen. Notwendige Schachtauslässe am Dach hätte man zusammengelegt, was auch in die Architekturplanung hineinspielte.
Architekt Christoph Treberspurg erwähnt weitere ganzheitliche Planungsziele: „Die Baukörper wurden gezielt so gesetzt, um sommerlicher Überhitzung vorzubeugen.“ Prädiktive Bauteilaktivierung sorgt hier mit der Koppelung mit Windenergiegewinnung für besondere Umstände. Energie wird je nach erwartbarem Wind und Wetter in die Gebäudemasse übertragen.






