Der Bahnhof Oriente in Lissabon ist ein Ort, der vor allem den Variantenreichtum und die Haltbarkeit von Sichtbeton unter Beweis stellt. Immerhin, über 20 Jahre bewährt sich die massive Bauweise bereits, die einem Entwurf von Santiago Calatrava zugrunde liegt. Der Architekt und Ingenieur schätzt Sichtbeton, auch in der Schweiz zeugen einige Bahnhöfe wie der Bahnhof Stadlhofen in Zürich von seiner Leidenschaft für Beton und perfekte Oberflächen. Calatrava entwarf Stahlbetontragwerke, die massiv und dennoch leicht wirken. Die Bogenform, die sich auch auf dem Bahnhof Oriente durchzieht, trägt dazu bei. Der Fern- und Regionalbahnhof entstand am ehemaligen Expogelände aus dem Jahr 1998. Der Durchgangsbahnhof beherbergt Gleise, die 14 Meter über dem Straßenniveau liegen, darunter gibt es eine Querhalle, vorwiegend in Sichtbeton ausgeführt, von der man zum Einkaufszentrum gelangt. Der Bahnhof diente 1998 als Eingang zur Expo – von der Großzügigkeit profitiert der Besucher heute noch.
Weiße Welle
Ebenfalls in Lissabon steht das MAAT, das neue Museum für Kunst, Architektur und Technologie. Sichtbeton, Stahlbeton, Betonsteine und Fliesen sind die dominierenden Materialien. Das Ergebnis des Entwurfs der Architektin Amanda Levete ist ein neuer Kraftort für die Kulturstadt, der bereits mit dem internationalen Designpreis ausgezeichnet wurde. Levete bezieht sich mit ihrem Entwurf für das MAAT einerseits auf das Wasser und andererseits auf das alte Kohlekraftwerk Central Tejo. Aus der Entfernung ist das Gebäude kaum sichtbar, da es sich mit seinem gewaltig geschwungenen, 120 Meter langen massiven Baukörper, der aussieht wie eine weiße Welle, scheinbar an das Wasser anpasst und eine Fortsetzung des Flusses Tejo andeutet. Das Museum wurde auf dem Areal des alten Kraftwerks errichtet, das als ein erhaltenswertes Beispiel für die portugiesische Industriearchitektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Im MAAT gibt es nationale und internationale Ausstellungen mit Beiträgen von zeit-
genössischen Künstlern. Am Programm stehen jeweils aktuelle Themen, zu denen die Kunstsammlung der EDP-Stiftung, des ehemaligen staatlichen Energiekonzerns, unter verschiedenen Blickwinkeln präsentiert wird.
Das Gebäude ist das Herzstück des Masterplans der EDP-Stiftung für einen Kunstcampus, der das umstrukturierte Kraftwerk umfasst. Das Museum ist ein kraftvolles, aber zugleich sensibles und flaches Gebäude, das die Konvergenz von zeitgenössischer Kunst, Architektur und Technologie verkörpert. Mit über 9.000 Quadratmetern neuem öffentlichen Raum und der Verschmelzung von Strukturen in die Landschaft ist das MAAT so konzipiert, dass die Besucher über, unter und durch das Gebäude gehen können.
Amanda Levete erläutert ihren Zugang: „Als wir das erste Mal hier waren, an einem sonnigen Novembertag, senkte sich gerade die Sonne ins Meer, der Fluss, der so salzig wie das Meer riecht, war in ein goldenes Licht getaucht. Da fragten wir uns, wie wir dieses außergewöhnliche, sich immer wieder verändernde Licht nutzen können, und wie wir ein Gebäude schaffen können, das das Licht reflektiert, vergrößert und verändert, wenn man am Ufer entlanggeht.“ Die Architekten fanden in 14.936 hellen, teilweise dreidimensionalen Keramikfliesen die Antwort. Diese Kacheln wurden extra gebrannt und einzeln auf die lang gezogene und stark geschwungene Fassade aus Steinplatten und Stahlbeton geschraubt. Die rechteckigen, hellen Platten auf dem Dach sowie auf der großen Freitreppe vor dem Eingang sind aus Moleanos-Kalkstein, der etwa hundert Kilometer nördlich von Lissabon abgebaut wird und sich durch seine feinkörnige Struktur und hellbeige Farbe auszeichnet. Die aufgeraute Oberfläche der Platten soll für mehr Rutschfestigkeit sorgen. Der Moleanos wurde als Kopfsteinpflaster auch für die Promenade verwendet. Ergänzt wird er durch Lioz-Steine mit zart rosafarbenen Adern.
Nun wechselt das Gebäude je nach Licht seine Farben – von strahlend Weiß zu Rosa bis Gelb, Gold, Orange und Rot. Das Gebäude ist mit 14 Metern Höhe recht niedrig. Das wirkt auf den ersten Blick irritierend, auf den zweiten Blick entdeckt der Besucher jedoch den wahren Grund – durch den niedrigen Bau sieht man immer noch den Stadtteil Belém mit seinen historischen Gebäuden. Eine 60 Meter lange Fußgängerbrücke führt von der Aussichtsterrasse des MAAT über die Eisenbahn und die Schnellstraße nun direkt ins
Zentrum von Belém.