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Massive Kultbauten

© Roland Kanfer
Sichtbeton und Stahl als gestalterische Elemente dominieren den Bahnhof Oriente in Lissabon – geplant vom Betonliebhaber Santiago Calatrava.
© Roland Kanfer

Architekten verwenden Sichtbeton gern als gestalterisches Element. Mittlerweile werden die positiven Eigenschaften von Beton mit perfekten Oberflächen und sensiblen Entwürfen verbunden.

von: Gisela Gary

Der Bahnhof Oriente in Lissabon ist ein Ort, der vor allem den Variantenreichtum und die Haltbarkeit von Sichtbeton unter Beweis stellt. Immerhin, über 20 Jahre bewährt sich die massive Bauweise bereits, die einem Entwurf von Santiago Calatrava zugrunde liegt. Der Architekt und Ingenieur schätzt Sichtbeton, auch in der Schweiz zeugen einige Bahnhöfe wie der Bahnhof Stadlhofen in Zürich von seiner Leidenschaft für Beton und perfekte Oberflächen. Calatrava entwarf Stahlbetontragwerke, die massiv und dennoch leicht wirken. Die Bogenform, die sich auch auf dem Bahnhof Oriente durchzieht, trägt dazu bei. Der Fern- und Regionalbahnhof entstand am ehemaligen Expogelände aus dem Jahr 1998. Der Durchgangsbahnhof beherbergt Gleise, die 14 Meter über dem Straßenniveau liegen, darunter gibt es eine Querhalle, vorwiegend in Sichtbeton ausgeführt, von der man zum Einkaufszentrum gelangt. Der Bahnhof diente 1998 als Eingang zur Expo – von der Großzügigkeit profitiert der Besucher heute noch.

Weiße Welle
Ebenfalls in Lissabon steht das MAAT, das neue Museum für Kunst, Architektur und Technologie. Sichtbeton, Stahlbeton, Betonsteine und Fliesen sind die dominierenden Materialien. Das Ergebnis des Entwurfs der Architek­tin Amanda Levete ist ein neuer Kraftort für die Kulturstadt, der bereits mit dem internationalen Design­preis ausgezeichnet wurde. Levete bezieht sich mit ihrem Entwurf für das MAAT einerseits auf das Wasser und andererseits auf das alte Kohlekraftwerk Central Tejo. Aus der Entfernung ist das Gebäude kaum sichtbar, da es sich mit seinem gewaltig geschwungenen, 120 Meter langen massiven Baukörper, der aussieht wie eine weiße Welle, scheinbar an das Wasser anpasst und eine Fortsetzung des Flusses Tejo andeutet. Das Museum wurde auf dem Areal des alten Kraftwerks errichtet, das als ein erhaltenswertes Beispiel für die portugiesische Industriearchitektur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gilt. Im MAAT gibt es nationale und internationale Ausstellungen mit Beiträgen von zeit­-
genössischen Künstlern. Am Programm stehen jeweils aktuelle Themen, zu denen die Kunstsammlung der EDP-Stiftung, des ehemaligen staatlichen Energie­konzerns, unter verschiedenen Blickwinkeln präsentiert wird.

Das Gebäude ist das Herzstück des Masterplans der EDP-Stiftung für einen Kunstcampus, der das umstrukturierte Kraftwerk umfasst. Das Museum ist ein kraftvolles, aber zugleich sensibles und flaches Gebäude, das die Konvergenz von zeitgenössischer Kunst, Architektur und Technologie verkörpert. Mit über 9.000 Quadratmetern neuem öffentlichen Raum und der Verschmelzung von Strukturen in die Landschaft ist das MAAT so konzipiert, dass die Besucher über, unter und durch das Gebäude gehen können.
Amanda Levete erläutert ihren Zugang: „Als wir das erste Mal hier waren, an einem sonnigen Novembertag, senkte sich gerade die Sonne ins Meer, der Fluss, der so salzig wie das Meer riecht, war in ein goldenes Licht getaucht. Da fragten wir uns, wie wir dieses außergewöhnliche, sich immer wieder verändernde Licht nutzen können, und wie wir ein Gebäude schaffen können, das das Licht reflektiert, vergrößert und verändert, wenn man am Ufer entlanggeht.“ Die Architekten fanden in 14.936 hellen, teilweise dreidimensionalen Keramikfliesen die Antwort. Diese Kacheln wurden extra gebrannt und einzeln auf die lang gezogene und stark geschwungene Fassade aus Steinplatten und Stahlbeton geschraubt. Die rechteckigen, hellen Platten auf dem Dach sowie auf der großen Freitreppe vor dem Eingang sind aus Moleanos-Kalkstein, der etwa hundert Kilometer nördlich von Lissabon abgebaut wird und sich durch seine feinkörnige Struktur und hellbeige Farbe auszeichnet. Die aufgeraute Oberfläche der Platten soll für mehr Rutschfestigkeit sorgen. Der Moleanos wurde als Kopfsteinpflaster auch für die Promenade verwendet. Ergänzt wird er durch Lioz-Steine mit zart rosafarbenen Adern.

Nun wechselt das Gebäude je nach Licht seine Farben – von strahlend Weiß zu Rosa bis Gelb, Gold, Orange und Rot. Das Gebäude ist mit 14 Metern Höhe recht niedrig. Das wirkt auf den ersten Blick irritierend, auf den zweiten Blick entdeckt der Besucher jedoch den wahren Grund – durch den niedrigen Bau sieht man immer noch den Stadtteil Belém mit seinen historischen Gebäuden. Eine 60 Meter lange Fußgängerbrücke führt von der Aussichtsterrasse des MAAT über die Eisenbahn und die Schnellstraße nun direkt ins
Zentrum von Belém.

Museum in der Natur
Die südmährischen Städte Pavlov und Dolní Věstonice zählen zu den weltweit führenden archäologischen Stätten. Das bereits mehrfach ausgezeichnete Museum Archeopark Pavlov, gleich nach der österreichisch-tschechischen Grenze, ist vorwiegend aus Beton errichtet. 2017 wurde es mit dem tschechischen Architekturpreis wie auch mit dem Cemex-Preis ausgezeichnet. Die herausragende Architektur von Radko Květ sowie die sensibel gestaltete Ausstellung erstrecken sich über eine Fläche von mehr als 500 Quadratmetern. Die Fundstücke werden mit zeitgenössischer audiovisueller Technologie präsentiert. Das Projekt passt sich an die städtebaulichen und architektonischen Aspekte des Geländes an, einschließlich der angrenzenden Infrastruktur sowie der Landschaft. Der Großteil des Baus befindet sich unter der Erde, nur die weißen Betontürme ragen über den Boden hinaus.
Der Eingangsbereich wurde durch Gabionenwände definiert, dieser Hof wird auch für Freiluftaktivitäten wie Theateraufführungen oder als Hintergrund für archäologische Arbeiten genutzt. „Von der Erstellung der ersten Skizzen bis hin zum Baugenehmigungsplan haben wir das Gebäude anhand von Skizzen, Papiermodellen, 3D-Modellen und orthogonalen Zeichnungen entworfen. Während der Umsetzungsphase des Projekts entwickelten wir ein 3D-Konstruktionsmodell, das später systematisch in seine Einzelteile zerlegt wurde. Diese Teile wurden anschließend von Fachleuten der Bauindustrie dimensioniert, konstruiert und schließlich wieder zusammengesetzt. Bei den Bauarbeiten haben wir uns sowohl auf das 3D-Konstruktionsmodell als auch auf die orthogonalen Zeichnungen bezogen. Die Plattform und die Gebäudehöhe wurden geodätisch abgegrenzt“, erläutert Architekt Radko Květ.

James Bond in Sölden
Ganz auf Sichtbeton setzt auch die vor Kurzem eröffnete James-Bond-Erlebniswelt in Sölden. Baumeister Franz Thurner kommt am Berg ins Schwärmen – einerseits weil er die Berge liebt, andererseits weil er das Bauen liebt. Er zeichnet, nach Plänen von Architekt Johann Obermoser, für „007 Elements“, der begehbaren Installation am Gipfel des Gaislachkogls in den Ötztaler Alpen, verantwortlich. Bauherr sind die Bergbahnen Sölden. 2015 fanden nämlich genau hier Dreharbeiten für „Spectre“ statt, darin kam das einem Eiswürfel nachempfundene Restaurant „Ice Q“, neben der Ötztaler Gletscherstraße und der alpinen Umgebung, vor. Jakob Falkner, Geschäftsführer der Bergbahnen Sölden, reagierte rasch und sicherte sich 2016 die nachhaltige Nutzung der Namensrechte für seine Erlebniswelt. Sichtbeton war für Obermoser selbstverständlich – denn dieses Material hält den Minustemperaturen und dem Permafrost auf 3.000 Metern Höhe mühelos stand und passt sich am besten von allen Baustoffen an die gebirgige Umgebung an. „007 Elements“ ist ein zweistöckiger Betonquader, der in sieben Teilen betoniert und in den Berg hineingebaut wurde. Doch auch im Inneren dominiert Sichtbeton – Bänke, Böden und Wegbegleitungen wurden allesamt in hochwertiger Betonqualität ausgeführt. Das wirkt anfangs kalt – und das war auch das Ziel, erläutert Obermoser: „Deshalb gibt es auch keine Heizung – hier erleben Sie das Klima, das hier hauptsächlich herrscht.“ Beim Durchschreiten von „007 Elements“ ist die Spannung tatsächlich spür- und erlebbar, nicht nur aufgrund des Soundsystems und der Spielkonsolen – wie James Bond fühlt man sich nicht, aber ein wenig hineingezogen in die Verbrecher-Spionage-Welt allemal. Aber sicher, denn die massiven, teilweise spektakulär schrägen Betonwände vermitteln Stabilität und führen einen letztlich wieder gut aus dem Tunnelsystem hinaus.

Role Model Learning Center
Der Campus WU, vor allem das Learning Center, LC, geplant von Zaha Hadid, gilt als Vorzeigebeispiel in puncto Sichtbeton – und Tragwerksplanung. Bei der Ausschreibung und der Planung des Sichtbetons für das LC wurde die damals neue ÖVBB-Richtlinie erstmals in Österreich angewandt. Ergebnis: Es gab aufgrund der strukturierten und klaren Ausschreibung keinen einzigen Nachtrag in puncto Sichtbeton.
Vasko+Partner, der als Generalkonsulent in Arge mit BUSarchitektur als Generalplaner für den Campus WU beauftragt war, zeichnete für die ausgeführte Qualität verantwortlich.

Doch der Weg zum perfekten Sichtbeton war aufwendig. Es gab zahlreiche Betonierversuche, bis das gewünschte Ergebnis erreicht war. Ein Betontechnologe unterstützte das Planungsteam bereits in der Ausschreibungsphase und war in der Folge in das ganze Baugeschehen eingebunden. Der Betontechnologe hatte im eigens für das LC gegründeten Sichtbetonteam eine Bauherrenvertretungsrolle inne. Zwei Mal wurden beim LC Wände wieder abgerissen – weil die Sichtbetonqualität unzureichend war. Ein eigens beauftragter Betonrestaurator reinigte und restaurierte rund um die Uhr fehlerhafte, kleine Stellen bis knapp vor dem Eröffnungstermin.