Architektur lebt von Vielfalt. Ästhetische, optische, emotionale und haptische Qualitäten spielen bei der Wahrnehmung von Bauwerken zusammen. Nicht nur Gestalt und Aussehen spielen dabei also eine Rolle, auch die Beschaffenheit von Oberflächen, die wiederum beim Betrachter unterschiedliche Emotion auslösen, ist ein wesentlicher Bestandteil von Architektur. Ein Gebäude mit Ganzglasfassade wird anders rezipiert als eines aus Holz oder aus Stein.
Naturstein hat als Baumaterial etwas Archaisches. Jahrtausende lang haben wir ihn verwendet, um uns mit einer schützenden Hülle zu umgeben. Wenn Architekten heute noch Naturstein einsetzen, schlagen sie damit also die Brücke in eine kollektive Vergangenheit der Menschheit. Mithilfe heutiger Bautechniken wiederum machen sie den Stein auch zu einem modernen, zukunftsweisenden Material.
Aus dem Berg auf den Berg
Wo kann diese Verbindung zwischen Natur, Stein und Architektur eindrücklicher realisiert werden als auf einem Berg, und wenn dann auch noch regional vorkommender Naturstein verwendet wird? Auf dem Monte Generoso, im Schweizer Kanton Tessin auf der Grenzlinie zu Italien, liegt auf 1704 Metern Höhe die „Fiore di pietra“ (Steinblume). 40 Minuten braucht man mit der Seilbahn vom Tal nach oben: Das vom Schweizer Architekten Mario Botta geplante und 2017 eröffnete Ausstellungsgebäude mit Restaurants und Konferenzraum ist ein monumentales, geometrisch präzises und symmetrisches Bauwerk, dessen wie Blütenblätter angeordnete Bauelemente eine Gruppe von fünfgeschoßigen Türmen entstehen lassen, unten mit einer leichten Auskragung, die sich nach oben hin wieder schließt.
Die eher geschlossen wirkenden Türme sind untereinander mit großzügig verglasten Flächen verbunden, die eine 360-Grad-Panoramasicht zulassen – im Süden auf die Mailänder Poebene, im Norden auf den Luganersee und die Alpen. Das Tragwerk aus Stahlbeton ist mit regional gewonnenem, grauem Granit aus Lodrino in horizontalen Streifen verkleidet, die mit ihrer abwechselnd glatten und ungeglätteten Ausführung dem Baukörper Struktur verleihen und die typische Handschrift Mario Bottas tragen. Lodrino ist ein grauer, geschieferter Gneis mit fein verteilten hellen Glimmermineralen. Er wird in Steinbrüchen am Fuß des Westhangs der Valle Riviera und der südlichen Valle Leventina bei Lodrino im Schweizer Tessin abgebaut.
Wochenendhaus mit Sandsteinfassade
Vom hohen Berg im Tessin zu einem etwas niedrigeren in der spanischen Provinz Alicante: In einem kleinen Dorf im Vall de Laguar, auf 500 Metern Seehöhe mit Blick auf das Mittelmeer gelegen, hat das spanische Architekturbüro Made ein Wochenendhaus mit nur 25 Quadratmetern Grundfläche und einem Schrägdach geplant, so wie es die örtlichen, landwirtschaftlich geprägten Bauvorschriften vorgaben. Im Erdgeschoß befindet sich das Wohnzimmer mit Küche und einem Schlafzimmer darüber. Der unterirdische Wasserspeicher wurde zu einem Untergeschoß mit Studio, Badezimmer und weiterem Schlafzimmer.
Den 30 Zentimeter starken Stahlbetonaußenwänden vorgemauert ist eine Fassade aus regionalen, trocken verlegten Natursteinen, wie sie in der Gegend für die Stützmauern des terrassierten Geländes üblich sind. Es handelt sich um den „Tosca Piedra“, einen Kalktuffstein aus Jávea, nördlich von Alicante. Dieser poröse und raue Sandstein, in dem Einschlüsse von Meeresfossilien zu finden sind, besitzt eine weiche und formbare Struktur sowie einen satten, honigfarbenen Ton. Damit fügt sich das kleine Wochenendhaus perfekt in die Umgebung der Region Alicante ein.