368 Naturstein
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Das Balustraden-Maßwerk am Wiener Stephansdom wurde mit dem originalen Kalksandstein renoviert.
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Sanierung mit Fingerspitzengefühl

Müssen ältere Bauwerke saniert werden, müssen gleichartige Materialien dafür verfügbar sein. Die Steinbrüche liefern auch nach Jahrzehnten und ­Jahrhunderten das gleiche Material in derselben Qualität.

von: Roland Kanfer

Ludwig Mies van der Rohe, einer der prominentesten deutschen Architekten der klassischen Moderne, war materialmäßig vorbelastet, war er doch der Sohn des Steinmetzmeisters Michael Mies aus Aachen. Im elterlichen Betrieb an der Herstellung von Bauteilen und Grabsteinen aus Naturstein geschult, verwendete er immer wieder Naturstein in seinen Projekten, wie dem berühmten Barcelona Pavillon aus dem Jahr 1929. 

Noch deutlicher als bei diesem Pavillon tritt der Kon­trast zwischen dem schweren Naturstein und den leichten, transparenten Konstruktionen seiner Architektur bei der 1968, also fast 40 Jahre später fertiggestellten Neuen Nationalgalerie Berlin zutage. Hier hat Mies auf Innenstützen komplett verzichtet, nur Glaswände verbinden die Stahlkassettenkonstruktion des Daches mit dem Gebäudesockel, der mit Niederschlesischem Granit aus Strzegom verkleidet ist. Als Verkleidung der Haustechnikschächte im Inneren wählte Mies van der Rohe grünen Serpentin Verde Gloria, einen Marmor von der Kykladeninsel Tinos. 

Im Jahr 2015 wurde das Berliner Büro von David Chipperfield Architects mit der Renovierung dieses Mies'schen Spätwerks betraut. Eine Mammutauf­gabe: Das Gebäude muss komplett in seine Einzelteile zerlegt werden, beginnend bei den Verglasungen bis zu den Granitplatten. 14.000 Stück davon wurden entfernt, nummeriert und zwischengelagert, um gereinigt, repariert oder gegebenenfalls durch neue Platten aus demselben Material ergänzt zu werden. Nach dem Einbau einer Fußbodenheizung und Kühlung werden sie wieder an ihrem Originalplatz verlegt. Vor allem die im Außenbereich verlegten Steinplatten sind durch unsachgemäße Sanierungen in der Vergangenheit im Mitleidenschaft gezogen und teilweise abgeplatzt.

Kathedrale des Lichts und Steins

Der Architekt Ludwig Mies van der Rohe verstand etwas vom Naturstein. Seine Bauwerke zeugen von seinem Gespür für dieses Material. Mit ebensolchem Fingerspitzengefühl gelang die Sanierung des Wiener Westbahnhofs. Als „Kathedrale des Lichts“ bezeichnete der Wiener Architekt Eric Steiner die 1951 nach Plänen der Architekten Robert Hartinger, Sepp Wöhnhart und Franz Xaver Schlarbaum errichtete Bahnhofshalle. Steiner und sein Partner Heinz Neumann unterzogen 2011 das unter Denkmalschutz stehende Gebäude im Zuge des Neubaus der Bahnhofscity einer Generalüberholung.

Die Natursteinplatten – Adneter Marmor „Rottropf“ und „Helltropf“ aus Salzburg, Jurakalkstein aus Bayern, St. Margarethener Kalksandstein aus dem Burgenland – konnten zu 40 Prozent wiederverwendet werden, der überwiegende Teil wurde mit denselben Steinsorten ergänzt, die 60 Jahre zuvor verwendet worden waren. Die Jury des Pilgrampreises 2016, die dem Sanierungsprojekt einen Sonderpreis zuerkannte, würdigte den gelungenen Versuch, Baukultur aus den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts zu erhalten und den Charakter des Objekts nicht zu zerstören, mit einem Preis. 

Maßwerk nach Maß

Kalksandstein aus St. Margarethen kam auch bei der Sanierung des Balustraden-­Maßwerks oberhalb der Bartholomäuskapelle des Wiener Stephansdoms zum Einsatz. Dieser leicht verfügbare und einfach zu bearbeitende Stein war bei den Baumeistern des Stephansdoms sehr beliebt. Auch wenn sich diese gotischen Verzierungen in großer Höhe befinden und der normale Betrachter kaum von ihnen Notiz nimmt, hat jeder einzelne Stein seine Bedeutung im Gesamtkunstwerk einer Kathedrale. Die über dem westlichen Joch der oberen Westkapelle angebrachten geometrischen Balustradenfüllungen wurden mit demselben Kalksandstein ergänzt und teilweise mit neu angefertigten Profilteilen ersetzt.

Dieses Maßwerk ist in spiegelbildlich gestaltete Felder gegliedert: Grundelement ist jeweils eine sogenannte Fischblase und ein Vierpass darunter. Da im Mittelalter die Profile händisch hergestellt worden waren und daher deren Abmessungen leicht voneinander abweichen, musste bei der Sanierung natürlich jedes Teil ebenfalls nach Maß gefertigt werden.

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