Licht, Luft, Sonne – für Walter Gropius, den Gründer der Bauhaus-Bewegung, war die katastrophale Wohnsituation vieler Menschen in der Weimarer Republik Anlass, den sozialen Wohnbau neu zu denken. Ordentlich wohnen und leben sollte auch für Menschen abseits der bürgerlichen Gesellschaftsschichten möglich und leistbar sein. Und das unbeengt, mit offenen Grundrissen und der Verbindung zwischen innen und außen. Funktionalität und Effizienz sowohl in den Grundrissen als auch in der Bauweise waren die Ideen des „Neuen Wohnbaus“. Gestalterisch zeichnete sich der Bauhausstil durch weiche Gebäudekanten, abgerundete Balkon- und Brüstungselemente sowie strahlendes Weiß als Markenzeichen aus. In den Dreißigerjahren brachten zahlreiche in das damalige Palästina geflohene Architekten wie Ze‘ev Haller, Shimon Levy, Joseph Noifeld oder Arieh Sharon – Letzterer hatte selbst am Bauhaus in Dessau studiert – diese Ideen mit und prägten damit den Charakter der als „White City“ bekannt gewordenen Stadt Tel Aviv.
Sonne und Transparenz
An diesen speziellen Bauhausstil wird man bei der Betrachtung der Wohnhausanlage „marchfeld terrassen“ in Wien-Donaustadt erinnert. Die weichen Linien der markanten Balkonbrüstungen wecken ebenso wie die Farbe Weiß Assoziationen an Wohnbauten, die heute noch in der israelischen Stadt stehen und mittlerweile zum Weltkulturerbe zählen. Nur, dass dieser Wohnbau am Marchfeldkanal, einem künstlich zwischen Wien und Niederösterreich angelegten Naherholungsgebiet und Bewässerungsprojekt für Transdanubien, liegt. Einen im Jahr 2018 vom wohnfonds_wien ausgelobten Bauträgerwettbewerb gewann die gemeinnützige Genossenschaft Siedlungsunion mit einem Entwurf der Wiener Architekten Christian Aulinger und Mark Gilbert. Das Baufeld mit schräg verlaufender Baufluchtlinie liegt gegenüber dem Ernst-Theumer-Hof, einem Gemeindebau aus den Achtzigerjahren. Ihm gegenüber wurde ein lang gestreckter Baukörper angeordnet. In der verbleibenden Ecke des Bauplatzes sitzt ein kleinerer Baukörper. Der Zwischenraum wird zum durchlässigen Freiraum, der die neue und die alte Wohnhausanlage über eine zentrale Grünachse verbindet.