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White City am Marchfeldkanal

© Daniel Hawelka
Als Fassadenbänder strukturieren die prominent hervortretenden Balkone die beiden Baukörper horizontal.
© Daniel Hawelka

ASG | marchfeld terrassen, Wien / trans_city

Licht, Luft, Sonne – für Walter Gropius, den Gründer der Bauhaus-Bewegung, war die katastrophale Wohnsituation vieler Menschen in der Weimarer Republik Anlass, den sozialen Wohnbau neu zu denken. Ordentlich wohnen und leben sollte auch für Menschen abseits der bürgerlichen Gesellschaftsschichten möglich und leistbar sein. Und das unbeengt, mit offenen Grundrissen und der Verbindung zwischen innen und außen. Funktionalität und Effizienz sowohl in den Grundrissen als auch in der Bauweise waren die Ideen des „Neuen Wohnbaus“. Gestalterisch zeichnete sich der Bauhausstil durch weiche Gebäude­kanten, abgerundete Balkon- und Brüstungselemente sowie strahlendes Weiß als Markenzeichen aus. In den Dreißiger­jahren brachten zahlreiche in das damalige Palästina geflohene Architekten wie Ze‘ev Haller, Shimon Levy, Joseph Noifeld oder Arieh Sharon – Letzterer hatte selbst am Bauhaus in Dessau studiert – diese Ideen mit und prägten damit den Charakter der als „White City“ bekannt gewordenen Stadt Tel Aviv.

Sonne und Transparenz
An diesen speziellen Bauhausstil wird man bei der Betrachtung der Wohnhausanlage „marchfeld terrassen“ in Wien-Donaustadt erinnert. Die weichen Linien der markanten Balkonbrüstungen wecken ebenso wie die Farbe Weiß Assoziationen an Wohnbauten, die heute noch in der israelischen Stadt stehen und mittlerweile zum Weltkulturerbe zählen. Nur, dass dieser Wohnbau am Marchfeldkanal, einem künstlich zwischen Wien und Niederösterreich angelegten Nah­erholungsgebiet und Bewässerungsprojekt für Transdanubien, liegt. Einen im Jahr 2018 vom wohnfonds_wien ausge­lobten Bauträgerwettbewerb gewann die gemeinnützige Genossenschaft Siedlungs­union mit einem Entwurf der Wiener Architekten Christian Aulinger und Mark Gilbert. Das Baufeld mit schräg verlaufender Baufluchtlinie liegt gegenüber dem Ernst-Theumer-Hof, einem Gemeindebau aus den Achtzigerjahren. Ihm gegenüber wurde ein lang gestreckter Baukörper angeordnet. In der verbleibenden Ecke des Bauplatzes sitzt ein kleinerer Baukörper. Der Zwischenraum wird zum durchlässigen Freiraum, der die neue und die alte Wohnhausanlage über eine zentrale Grünachse verbindet.

Die Bebauung des als trans_city firmierenden Architekturbüros reagiert auf den älteren Wohnbau, indem der größere, lang gestreckte Baukörper an beiden Längs­fassaden und der kleine Bauteil an der Hofseite dessen sägezahnförmige Ausbildung aufnimmt. Ein damit verbundener Ge­staltungskniff erlaubt es dem Projekt, der Forderung von Gropius nach Licht und Transparenz im Wohnbau entgegenzu­kommen: Indem die Zimmerachsen der Wohnungen um 45 Grad zur Bauflucht­linie gedreht werden, entstehen L-förmige Grundrisse und die Aufenthaltsräume öffnen sich jeweils nach zwei Himmelsrichtungen, was für jeden Aufenthaltsraum zwei Fensterfronten und damit längeres Sonnenlicht und mehr Ausblick für die Bewohner bedeutet.
Die prominent hervortretenden Balkone sind charakteristisch für die Wohnanlage und sie waren als Terrassen namensgebend für das Projekt. Als Fassadenbänder strukturieren sie die beiden Baukörper horizontal und sorgen mit ihrer geschoßweise versetzten Anordnung für ein differenziertes, abwechslungsreiches Erscheinungsbild. Die abgerundeten Ecken der Brüstungen stellen ebenfalls eine Referenz an den Bauhausstil der „White City“ dar. Wie auch die Wahl der Bau­stoffe dem Gedanken der effizien­ten Bauweise und des leistbaren Wohnraums für alle entspricht. Der ursprünglich geplante reine Stahlbetonbau wich einer auch für kleine Bauunternehmen umsetzbaren Mischbauweise aus Beton­stützen, kombiniert mit Außenwänden aus Ziegeln und Wohnungstrennwänden in Leichtbauweise. Auch dem Anspruch an egalitäre Wohnbedingungen kamen die Planer nach: Die Verteilung der elf SMART-­Wohnungen über die gesamte Anlage soll für eine soziale Durchmischung der Be­wohner sorgen.

Projekt
ASG | marchfeld terrassen: Wohnbebauung am Marchfeldkanal, Anton-Schall-Gasse 7, 1210 Wien

Bauherr
SiedlungsUNION Gemeinnützige Wohnungs- u. Siedlungs-gen.m.b.H. Wien

Architektur
trans_city ZT GmbH, Wien

Landschaftsplanung
DI Jakob Fina Landschaftsarchitekt, Wien

Statik
Buschina u. Partner, Wien

Projektdaten
Grundstücksfläche: 3780 m²
Bebaute Fläche: 1440 m²
Wohnnutzfläche gefördert: 2602 m²
Bruttogeschoßfläche: 3872 m²

Projektablauf
Wettbewerb 06/2018
Planungsbeginn 09/2018
Baubeginn 02/2020
Fertigstellung 10/2021

Materialien
Bauweise: 20 cm Planziegel-Fertigteil
Innenwände: Trockenbau
Fassade: Reib- bzw. Rillenputz; Keramische Wandverkleidung – Klinker-Riemchen­verkleidung Märkischer dreifärbiger Verband
Fenster/Türen: Holz-Alu
Bodenbeläge außen/innen: Bodenfliesen Feinsteinzeug

Wettbewerbsdokumentation
ARCHITEKTURJOURNAL / WETTBEWERBE 4/2018 (339) 

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