Niederösterreich wächst überdurchschnittlich. Entsprechend hoch ist die Wohnbauproduktion der letzten Jahre. Zwischen 2012 und 2016 wurden im Schnitt jährlich 6.146 geförderte Wohneinheiten errichtet, damit liegt das flächenmäßig größte Bundesland um 25 Prozent über dem österreichischen Durchschnitt. Zugleich sind aber die durch die Raumwärme privater Haushalte bedingten CO2-äquivalenten Emissionen um rund 34 Prozent zurückgegangen, erläuterte Helmut Frank, Leiter der Abteilung Wohnungsförderung der Niederösterreichischen Landesregierung, anlässlich einer vom Architekturjournal wettbewerbe gemeinsam mit der Plattform Bau Massiv im Mai 2017 Podiumsdiskussion, die an der Donau-Universität Krems stattfand.
Doch die EU sieht in der Energierichtlinie für das Jahr 2020 noch strengere Auflagen vor. Neubauten dürfen ab diesem Zeitpunkt nur mehr im Niedrigstenergiestandard ausgeführt werden. Dieser Level bedeutet für die Wohnbauwirtschaft einen Mehraufwand, der die Frage aufwirft, ob die Errichtung von Wohnbauten noch wirtschaftlich darstellbar ist, wie Alfred Graf, Vorstand der gemeinnützigen Donau-Ennstaler Siedlungs AG Gedesag bemerkte.
Zu hohe Anforderungen
Ohne Wohnbauförderung wäre es in Niederösterreich bereits jetzt unmöglich zu bauen, sollte das derzeit niedrige Zinsniveau in Bewegung geraten, dann werde auch in diesem Bereich schwierig, so Graf. Er räumt ein, manche Vorgaben der OIB-Richtlinie 6 gar nicht einhalten zu können, etwa jene, wonach eine gemeinsame Heizanlage für drei Wohneinheiten zu errichten ist – was bei Reihenhäusern kontraproduktiv wäre. Und die Zwangsbelüftung, die auch im Sommer läuft, würde eine höhere technische Ausstattung notwendig machen.
Unter dem Strich: Nachhaltigen, ökologischen und zugleich leistbaren Wohnraum zu bauen, werde immer schwieriger, so Graf. Dazu kam ein interessanter Beitrag aus dem Publikum: Würde die „Graue Energie“, also jene Energiemenge, die für Herstellung, Transport und Entsorgung von Baumaterialien und technischer Gebäudeausrüstung benötigt wird, ebenfalls in die Nachhaltigkeitsberechnung einbezogen, würde sich die Frage stellen, ob zusätzliche Dämmschichten an den Fassaden noch sinnvoll seien.
Klimaadaptive Technologien
Ziel der am Wohnbau beteiligten Protagonisten sollte es sein, nachfolgenden Generationen den gleichen Standard bieten zu können wie der heutigen, meinte Helmut Floegl, Leiter des Zentrums für Immobilien- und Facility Management an der Donau-Universität Krems. Nachhaltigkeit bedeute, ein Gebäude als Ganzes zu sehen und auch die Nutzungsprozesse und den sozialen Wandel – Stichwort Paare ohne Kinder – mit einzubeziehen. Dazu seien ein Paradigmenwechsel in der Planung und eine neue Denkweise notwendig, die Nutzer müssten aktiv am Planungsprozess teilhaben, so Floegl.
Michaela Smertnig vom Bau.Energie.Umwelt Cluster Niederösterreich plädierte für den Einsatz „klimaadaptiver Technologien“, um sich an den Klimawandel im Gebäudebereich strategisch anzupassen. Dazu gehörten multifunktionale Gebäudehüllen zur Vermeidung sommerlicher Überwärmung inklusive Fassadenbegrünungen ebenso wie die Nutzung von Verdunstungskälte, Lüftung ohne Lüftungsanlagen, Bauteilaktivierung und auch Regenwassermanagement im Gebäude.
Wohnbau in zwei Kategorien
Nachhaltigkeit aus Sicht der Architektur bedeutet für die Architektin Anne Mautner Markhof, Vorsitzende der Gestaltungsbeiräte Niederösterreich und Krems, vor allem qualitätsvolle Planung. Nutzungsflexibilität, Barrierefreiheit sowie Materialeinsatz – Stichwort Recyclingbaustoffe – seien Aspekte, die ebenfalls in den Beiräten relevant sind.
Nicht vergessen werden darf neben der Ökologie und der gestalterischen Qualität ein wesentlicher Aspekt beim Thema Nachhaltigkeit: die soziale Komponente. Tania Berger vom Department für Migration und Globalisierung der Donauuni Krems berichtete von Energiearmut, die es selbst in Krems gebe. Was Gedesag-Vorstand Alfred Graf dazu bewog, ein in der Wohnbaubranche viel diskutiertes Thema aufs Tapet zu bringen: den sozialen Wohnbau in zwei Kategorien. Ob es auf Dauer wirklich vertretbar sei, hochqualitativen geförderten Wohnbau weiter zu subventionieren, damit die Bauträger ihre Mietpreise auf 300 Euro drücken können – oder der aus seiner eigenen Praxis feststellbaren großen Nachfrage nach billigen Wohnungen aus dem Altbestand mit 3,75 Euro pro Quadratmeter nachzukommen. „Wir gehen der gesellschaftlichen Diskussion aus dem Weg“, so Graf über die Tatsache, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung mehr nicht leisten könne.